Familie Trevor nennt unser Theater-Stück "Wohlfühlintegration". Die Beiden kritisieren, dass beim Zuschauer hängen bleibe, dass blinde und sehende Menschen in einer Beziehung nicht glücklich sein könnten. Wir vermitteln ihrer Meinung nach, dass es ein Miteinander nur auf der Arbeits- oder Leistungsebene geben könne. Sprich: blinde und sehende Menschen können zusammen ein Theaterstück spielen, sie können aber keine glückliche Liebe leben. Ich selbst habe einmal den Film "Erbsen auf halb 6" wegen dieser Botschaft kritisiert. Insofern gibt es mir schon zu denken, dass ich jetzt in einem Stück mitspiele, dessen Tenor angeblich sein soll: "Blinde, bleibt unter Euch". Daher sollte man sich einmal näher mit "Blindfische und Sehfische" befassen. In der Tat gibt es eine knbisternde Liebesgeschichte zwischen dem sehenden Schauspieler Oliver und der blinden Dunkelbar-Kellnerin Franziska. Und in der Tat scheitert diese Beziehung, aber nicht an der Behinderung Franziskas, sondern an der Untreue Olivers. Und schließlich bändelt Franziska vorsichtig mit dem anständigeren sehenden Andreas an. Die Liebe zwischen Blind und Sehend wird nicht negiert. Hätten wir die Irrungen und Wirrungen von Liebe und Leidenschaft nicht thematisieren dürfen, nur weil blinde Menschen auf der Bühne stehen? Hätten wir lieber eine kitschige Happy-End-Story auf die Bühne bringen sollen, damit man uns endlich glaubt, dass behinderte und nichtbehinderte Menschen eine glückliche Beziehung führen können? Und was ist fatal an der Botschaft, dass blinde und sehende Schauspieler mit fleißigen Proben und Engagement erfolgreich sein können? In einer Gesellschaft, in der sich viele nicht einmal vorstellen können, dass blinde Menschen in einer eigenen Wohnung leben, sich selbst etwas kochen und zur Arbeit gehen können, da ist das eine tolle Aussage. "Ihr Blinden und Sehenden seid richtig zusammengewachsen", sagte eine Besucherin nach der Aufführung vom vergangenen Freitag. Wenn diese Botschaft ankommt, ist vielleicht mehr gewonnen als mit so manch einer pädagogisch-verkopften Debatte. Was beim Zuschauer ankommt, kann ich aber letztlich nicht beurteilen. Ich bin zu sehr in den Proben und im Stück verhaftet, mir fällt es schwer von außen darauf zu blicken. Tun Sie das doch einfach selbst bei unserer Dernière am Samstag, 4. Oktober, 20.00 Uhr in der Kulturbühne Bugenhagen.
Dienstag, 30. September 2008
Donnerstag, 25. September 2008
Protest in Schwerin
Gestern machten sich blinde und sehbehinderte Menschen aus ganz Deutschland auf den Weg nach Schwerin. Aus Hamburg kamen rund 30 Demonstranten mit dem Bus, um ihren Unmut über die massiven Kürzungspläne beim Blindengeld kund zu tun. Sie wissen, dass ein Einschnitt in einem Bundesland die Gefahr der Abwärtsspirale bundesweit birgt. Ich zitiere eine Info aus DBSV-Direkt, dem Newsletter des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes, vom Mittwoch:
der öffentliche Druck wächst: 26.794 Unterschriften hat der Blinden- und Sehbehinderten-Verein Mecklenburg-Vorpommern (BSVMV) bis heute gesammelt. Die blinden und hochgradig sehbehinderten Menschen im Nordosten der Republik sind nicht allein. Sie können auf breite Unterstützung zählen in ihrem Kampf gegen die Pläne der Landesregierung, das Landesblindengeld um rund 40 Prozent zu kürzen. Das Zwischenergebnis der groß angelegten Unterschriftenaktion verkündete heute die Vorsitzende des BSVMV Gudrun Buse auf einer öffentlichen Kundgebung in Schwerin, die anlässlich der ersten Lesung der Änderung des Landesblindengeldgesetzes stattfand.
"Hände weg vom Blindengeld": Unter diesem Motto haben sich etwa 500 Menschen versammelt und den Schweriner Schlossplatz mit ihren Mützen, Schals und T-Shirts in ein warnendes Gelb getaucht. Es war eine Demonstration, mit der die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe ihre Stärke signalisiert hat. Von den Landesvereinen des DBSV waren Vertreter aus Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen gekommen. Auch die Rednerliste machte deutlich, dass sich der BSVMV nicht nur der Solidarität des DBSV und weiterer Landesvereine sicher sein kann, sondern auch die übergeordneten Sozialverbände wie den Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband und den Sozialverband VdK Deutschland auf seiner Seite weiß.
"Das Blindengeld ist kein Almosen, gütig vom Landesvater Ringstorff seinen armen Untertanen, seinen Blinden dargebracht. Es ist ein Nachteilsausgleich", betonte Uwe Boysen, Vorsitzender des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS). Renate Reymann, Präsidentin des DBSV, warf der rot-schwarzen Landesregierung "eine Politik der sozialen Kälte" vor und warnte eindringlich davor, dass blinde Menschen durch die drastische Kürzung vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen oder sogar in die Armut getrieben werden - und das ohne finanzielle Not, denn das Land Mecklenburg-Vorpommern hat einen ausgeglichenen Haushalt und kann sogar Schulden abbauen. Vor diesem Hintergrund appellierte sie an die Mitglieder des Landtags: "Setzen Sie sich objektiv und fair mit dem Gesetzentwurf auseinander! Hinterfragen Sie die Gesetzesbegründung! Und geben Sie vor allem den Betroffenen die Gelegenheit zur persönlichen Anhörung!"
Die Stimmung in der Politik scheint zu kippen. Dies wurde auch heute früh deutlich, als die Blindengeldkämpfer die Abgeordneten vor dem Landtag mit einer leibhaftigen "Blinden Kuh" begrüßten. Wer wollte, konnte mit Brille und Langstock durch einen Dunkelgang gehen oder sich anhand einer 32-bändigen Bibel in Punktschrift davon überzeugen, wie aufwändig das Lesen für blinde und sehbehinderte Menschen ist. Bei diesen Aktionen gab es Gelegenheit zum Austausch, dem sich Ministerpräsident Harald Ringstorff entzog, den andere Politiker aber nutzten. Bemerkenswert dabei war vor allem, dass die SPD nicht mehr geschlossen hinter den Kürzungsplänen der eigenen Minister Erwin Sellering (Soziales und Gesundheit) und Sigrid Keler (Finanzen) steht. Wie Bernd Uhlig aus der AG Blindengeld im Land Mecklenburg-Vorpommern berichtete, mehren sich innerhalb der SPD-Fraktion die Stimmen derer, die die Kürzung des Landesblindengeld nicht in vollem Umfang mittragen wollen. Dies ging in den vergangenen Tagen auch aus verschiedenen Zeitungsberichten hervor.
Kein Wunder also, dass die Landtagsdebatte über das Landesblindengeld am heutigen Nachmittag erregt verlief. Nach einem Bericht der dpa verteidigte Erwin Sellering die Kürzungspläne unter Hinweis auf Vergleiche mit anderen Bundesländern. Mecklenburg-Vorpommern habe derzeit das zweithöchste Landesblindengeld bundesweit und müsse sparen, sagte er. Redner von SPD und CDU verwiesen auf die bevorstehenden Beratungen im Sozial- und Finanzausschuss, wo der Gesetzentwurf noch verändert werden kann. Die Oppositionsparteien Linke und FDP lehnten den Gesetzentwurf rundweg ab.
"Damit ist die politische Diskussion endlich eröffnet", äußerte sich Gudrun Buse im Anschluss an die Landtagssitzung. "Wir gehen fest davon aus, dass wir in den Ausschüssen angehört werden. Unsere Stimme zählt - das ist inzwischen auch in der Politik angekommen. Wir danken allen, die uns solidarisch unterstützen. Unsere Kampagne hat uns in den vergangenen Wochen enorm viel Aufmerksamkeit gebracht. So soll es auch weitergehen. Deshalb bitten wir alle, sich auch weiterhin für unsere Unterschriftenaktion einzusetzen. Denn ohne öffentlichen Druck geht es nicht in der Politik."
Hamburg würdigt Erfinder der Blindenschrift
Und noch eine gute Nachricht aus der Politik: Auf eine Anregung des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg (BSVH) hin hat die FDP-Fraktion im zuständigen Regionalausschuss beantragt, den Platz vor dem U-Bahnhof Hamburger Straße nach Braille, dem Erfinder der Blindenschrift, zu benennen. Der Platz befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Louis-Braille-Center, dem Sitz des BSVH im Holsteinischen Kamp. Nachdem das Staatsarchiv der Namensnennung zugestimmt und auch der Regionalausschuss einstimmig für den "Louis-Braille-Platz" votiert hat, steht aus FDP-Sicht der Umbenennung nun nichts mehr im Wege. Die Zustimmung des Senats sei nur Formsache.
Am 4. Januar 2009 jährt sich Brailles Geburtstag zum 200. Mal. Der Blinden- und Sehbehindertenverein plant für diesen Tag eine feierliche Einweihung des Platzes. Ich bin stolz, dass der Louis-Braille-Platz kommt. Die Blindenschrift bedeutet bis heute Selbstständigkeit und gesellschaftliche Teilhabe für blinde Menschen. Ihr Erfinder hat diese Würdigung verdient.
Hamburg Begreifen: die Innenstadt in Bronze
Blinde und sehbehinderte Menschen begreifen Hamburgs Innenstadt. Das größte Tastmodell Deutschlands steht seit Dienstag auf dem Rathausmarkt, vor dem Bucerius-Kunstfforum. Ich bin begeistert. Wir können unsere schöne Stadt endlich mit den Händen erfassen und fühlen, wie Rathaus und Michel aussehen. Alle Gebäude sind maßstabgetreu ertastbar.
Bürgermeister Ole von Beust, der das Modell am 23. September enthüllte, zeigte sich ebenfalls erfreut: "Ich kann mir vorstellen, dass da viele Menschen lange vorstehen werden, weil man so erst erfährt, was ist groß, was ist klein, wie breit sind Straßen, wo ist Wasser. Das ist wirklich eine Tolle Sache", sagte von Beust dem Radiosender NDR 90,3. Die Herstellung des detaillierten und tonnenschweren Bronze-Modells dauerte über ein Jahr. Es ist 2,65 mal 1,60 Meter groß. Straßen und Gebäude sind mit Blinden- und Schwarzschrift gekennzeichnet.
Freitag, 19. September 2008
Ein Sommernachtstraum
Die Premiere ist geschafft! Und sie war großartig! Die Kulturbühne Bugenhagen war ausverkauft. Das dichte Stimmengewirr drang vor der Aufführung an unsere Ohren. Da sind ja wirklich Menschen, dachte ich. Die Anspannung wuchs. Mit dem ersten Auftritt legte sich ein Schalter um: Ich war einfach in der szene, spielte den blinden Theater-Regisseur René und hatte Spaß dabei. Und das Schöne war, dass auch das Publikum Spaß hatte. Die Pointen kamen an. Es wurde gelacht. Es gab Szenen-Applaus. Wir hatten etwas Gutes erschaffen. Die Erleichterung war in der Pause mit Händen zu greifen. "Jetzt nur nicht die Spannung für die zweite Hälfte verlieren." Alle Auf- und Abgänge klappten. Es gab keine größeren Pannen. Das Stück hatte einen roten Faden, einen Spannungsbogen. Szenen, deren Funktion uns bei den Proben unklar waren, kamen besonders gut an. Jörn Waßmund hatte seinen Regie-Job gut gemacht. Und nach dem Stück jubelten die Zuschauer minutenlang. Der Stress der letzten Wochen hatte sich mehr als gelohnt. Ein Glück hatte ich meine zweite Chance bekommen. Die Premierenfeier war rauschend und lang. Unser Cellist spielte uns in der Cafeteria ein kleines Zusatz-Konzert. Blinde und sehende Schauspieler saßen durcheinander, tanzten Bollywood und lachten herzhaft und gelöst. Das waren wunderschöne Augenblicke. Und es fällt mir wahrlich schwer, hierüber nicht kitschig zu schreiben. Sehr unterschiedlichen, sehr eigenwilligen Persönlichkeiten ist mit "Blindfische und Sehfische" etwas gemeinsames gelungen, das dafür steht, dass es sich lohnt, Vorurteile und Berührungsängste zu überwinden. Durch dieses Projekt habe ich die anregendsten Gespräche der letzten Jahre geführt und unbeschreiblich ungewöhnliche und sinnliche Momente erlebt und erschaffen. Das frei nach Shakespeare gestaltete Stück ist auch mein ganz persönlicher Sommernachtstraum.
Weitere Aufführungen gibt es am 19.09., 26.09., 27.09. und 04.10. in der Kulturbühne Bugenhagen, Biedermannplatz 19, Karten-Reservierungen: 040 - 639 470 41
Mit der Bahn unterwegs
Wie fahren blinde Menschen mit der Bahn? Was wünschen sie sich dabei vom Service-Personal? Diese Fragen beantwortete ich in der vergangenen Woche bei einer Mitarbeiter-Schulung der DB-AG.
Meist komme ich mit der U2 am Hauptbahnhof Nord an, um meine Reise zu starten. Vor über zehn Jahren hatte ich dort Orientierungs- und Mobilitätstraining. Ich nehme immer die selben Treppen-Aufgänge. Bin ich in der Wandelhalle angekommen, suche ich die Rillenplatten im Boden. Mein Blindenstock gleitet hin und her, bis er in meiner Hand zittert und ein ratschendes Geräusch mir sagt, dass ich das Orientierungssystem für blinde Menschen gefunden habe. Ich folge den Platten, die sich deutlich vom sonst glatten Bahnhofsboden abgrenzen. Ärgerlich ist nur, wenn die Auslegeware eines Geschäfts, ein Bistro-Tischchen oder der große Koffer eines Reisenden den Weg über den Orientierungsstreifen verwehrt. Große, quadratische Rillenplatten signalisieren eine Abzweigung hin zu den Gleisen. Zur Kontrolle gleitet meine Hand an das metallene Treppengeländer. Dort steht in Blindenschrift, welche Gleise am Ende der Treppe liegen. Auf dem Bahnsteig bin ich auf verständliche und rechtzeitige Lautsprecher-Durchsagen angewiesen. Schließlich will ich in den richtigen Zug steigen.
Steige ich in eine Regionalbahn nach Cuxhaven, weiß ich nicht, ob ich in die zweite oder in die erste Klasse steige oder gar ins Fahrrad-Abteil. Ich weiß auch nicht immer, wie die Abteile gestaltet sind, da sich die Züge von Generation zu Generation unterscheiden. Gut, dass ich meist andere Fahrgäste fragen kann. Das muss ich erstrecht, wenn ich mit dem ICE zu meinen Schulungen nach Frankfurt fahre. Dann habe ich eine Platzreservierung, aber keine Ahnung, wo der Platz im Großraumwagen ist. Steuere ich einen Bahnhof zum ersten Mal an, weiß ich nicht, wie ich zum Umsteigegleis komme oder zum Taxistand. Für solche Situationen gibt es eine servicenummer der Bahn, über die man Begleitung bestellen kann. Meine Erfahrung mit dem Personal von Bahnhofsmission oder Servicekräften der Bahnhöfe ist positiv. Und ich hoffe, dass sie für andere sehbehinderte Reisende noch positiver werden. Genau deshalb war ich in der letzten Woche bei der Mitarbeiterschulung der Bahn.
Freitag, 12. September 2008
Ein erfolgreiches Projekt
Jetzt ist es bald so weit: Am Donnerstag hat unser Stück Premiere. Die Crew wird angespannter, manche Kleinigkeit schlägt unnötig hohe Wellen, meine Nervosität steigt. Doch ganz gleich, ob am 18. alles klappt, ob die Presse positiv oder negativ schreibt, ob das Publikum in euphorischen Scharen strömt oder nicht, das Projekt ist jetzt schon erfolgreich. Nämlich immer dann, wenn die blinde Physioterapeutin die verspannte Choreografin massiert, immer dann, wenn wir Laien uns über eine gelungene Szene freuen, immer dann, wenn eine blinde Schauspielerin einem Sehenden Gesangstipps gibt, immer dann, wenn der sehende Regisseur bemerkt, dass man jede Geste in Worte fassen kann, immer dann, wenn alle in einem Lachen vergessen, wer behindert ist und wer nicht. Und wenn das schon geklappt hat, dann wird der Rest ja wohl ein Kinderspiel.
Schmutzig, erfolgreich - und trotzdem blass
"Mir macht es Riesenspaß, mich nicht nur immer und überall bräsig voll auf die dreckige Klobrille zu setzen, ich wische sie auch vor dem Hinsetzen mit meiner Muschi in einer kunstvoll geschwungenen Hüftbewegung einmal komplett im Kreis sauber. Wenn ich mit der Muschi auf der Klobrille ansetze, gibt es ein schönes schmatzendes Geräusch, und alle fremden Schamhaare, Tropfen, Flecken und Fützen jeder Farbe und Konsistenz werden von meiner Muschi aufgesogen." Klar, das kann man mal schreiben, aber muss das gleich ein Bestseller werden? Mich hat Charlotte Roches aktueller Roman enttäuscht, zumal ich sie in ihrer großen Viva-Zwei-Zeit sehr geschätzt habe und sie bis heute in Interviews immer sehr witzig fand. Gelegentlich blitzt ihr Humor auch in "Feuchtgebiete" auf, aber viel zu selten. Was bleibt ist ein krampfhaft auf den Ekelschock getrimmtes buch, ohne Handlung und Niveau. Aber was spricht es beim Publikum an, das zu Hunderttausenden "Feuchtgebiete" kauft? Bei mir reanimierte es phasenweise das Gefühl, das sich einstellte, als wir uns mit Elf die Liebe-Sex-und-Zärtlichkeit-Seiten in der Bravo vorgelesen haben. Und sicherlich ist es Roche gelungen, an eines der letzten Tabus unserer so liberalen Gesellschaft zu rühren. Und das schafft heutzutage auch nicht mal jeder. Selbstredend kann man einen Roman gegen den Hygienewahn schreiben. Natürlich ist die Flucht eines 18jährigen Scheidungskindes in Sex und Schmutz ein interessantes Thema. Charlotte Roche hat aber vielzuwenig daraus gemacht. Auch ihre ungekürzte Autorenlesung ist eher Mittelmaß. Unbetont und gequätscht kommt die Stimme aus den Lautsprechern. Naja, Ihr sei der Erfolg - so von Mensch zu Mensch - trotzdem gegönnt!
Montag, 8. September 2008
Blinde Hellseher
Mit einer Blindenschriftmaschine und dem Braille-Alphabet zum Mitnehmen ist man ein echter Blickfang. Am Freitag betreute ich einen BSVH-Infostand auf dem Altonaer Paul-Nevermann-Platz. Dort machten die Entwicklungshelfer von der Christoffel Blindenmission Halt. Sie luden den BSVH ein, und so erklärte ich in der Spätsommersonne Grundschülern die Sechs-Punkte-Schrift, schrieb Namen und Grußbotschaften in Braille auf kleine Kärtchen und traf so manch einen interessanten Hamburger: Da war die Kenianerin, die früher als Lehrerin in ihrem Land gearbeitet hatte und sich an einen sehbehinderten Schüler erinnerte, der immer Klassenbester gewesen war. Da waren die zwei fröhlichen Mädchen, die sich von mir "Stella und Fanina - Freundinnen fürs Leben" in doppelter Blindenschrift-Ausführung tippen ließen. Und da war der Freak, der meinte, dass blinde Menschen hellseherische Fähigkeiten hätten und diese mit Psychopilzen und Cannabis noch steigern könnten. So bunt ist Hamburg. blinde und sehbehinderte Menschen sind ein Teil dieser bunten Stadt. Aktionen wie die am Freitag machen dies sehenden Bürgern bewusst.
Donnerstag, 4. September 2008
Einstimmige Entscheidung
Die Bürgerschaft - Hamburgs Landesparlament - hat gestern einstimmig beschlossen, das Blindengeld rückwirkend zum 1. Juli zu erhöhen. Es wird zukünftig an die Renten-Entwicklung gekoppelt. Bisher war der Betrag eingefroren. Die Entscheidung ist positiv für die knapp 3000 blinden Hamburgerinnen und Hamburger. Die Politik hat sie zumindest nicht ganz vergessen. "Das ist zwar eine gute Nachricht, aber zu wenig", sagt Uwe Grund von der SPD. Die CDU habe das Blindengeld 2004 "dramatisch um fast ein Viertel" gekürzt. Die jetzige Anpassung werde "nicht einmal die Inflationsrate ausgleichen ", so Grund im Hamburger Abendblatt. Recht hat der Mann. Und wie die drohenden Kürzungen in Mecklenburg-Vorpommern zeigen, müssen die Blinden- und Sehbehindertenvereine in Deutschland auch zukünftig sehr wachsam und handlungsfähig sein.
Montag, 1. September 2008
Sommer in Hamburg
Durchnässt durchstoße ich heute Morgen den Regen. Es donnert kurzatmig. Ein Gewitter leutet das Sommer-Ende ein - kein Gewitter, das Schwüle Hitze vertreibt. Es sind Schläge, die eine Jahreszeit vernichten: den Sommer in Hamburg. Ich kann gar nicht genau sagen, wann er begann. Am 21. April war noch Frühling. Doch schon sehr bald waberte die Schwere durch die Stadt - eine sinnliche Schwere, geschwängert vom dampfenden Boden der Alster-Wiesen, von den wilden Beats, die aus geöffneten Auto-Fenstern hämmerten, und von Haut, die in der Sonne glühte. Die Schwere des Sommers legte sich wohlig auf unsere Seelen, sie kribbelte im Bauch. Und keiner kann sagen, wann sie begann, uns zu erdrücken. Als wir sie realisierten, war es zu spät. Da half kein Regenschauer oder Donnerschlag. Wir konnten die Schwere in keinem See mehr abstreifen. Irgendwann weiß der Hamburger, dass nur noch der Herbst helfen kann.