Donnerstag, 30. April 2009

Keine Almosen

Über Geld spricht und schreibt man nicht. Gerade nicht, wenn man für einen Blinden- und Sehbehindertenverein arbeitet. "Mir ist das peinlich", höre ich von blinden menschen. Oder: "Ich will nicht betteln." Verständlich ist dieser Impuls. Schließlich waren behinderte Menschen über Jahrtausende Almosen-Empfänger. Und erst mit der Epoche der Aufklärung, der Industrialisierung und des technischen Fortschritts konnte der Kampf um gesellschaftliche Teilhabe beginnen. Dennoch: blinde und sehbehinderte Menschen brauchen auch heute Hilfe, Hilfe, die Geld kostet.

Im Hamburger Louis-Braille-Center beraten unsere Mitarbeiterinnen zu allen Alltagssorgen und Rechtsfragen, die sehbehinderten Menschen auf den Nägeln brennen. Die größte Hilfsmittelausstellung im Norden ermöglicht Betroffenen, sich neutral und unabhängig zu informieren. Eine Orthoptistin erprobt vergrößernde Sehhilfen mit Besuchern, die frisch an Makula-Degeneration, grünem Star oder einer Anderen Augen-Erkrankung leiden. All diese Angebote kosten Geld. Das Geld dafür bekommen wir nicht vom Staat. Allerdings sind wir als gemeinnützig anerkannt und daher steuerlich befreit.

Am vergangenen Samstag kamen unsere Mitglieder zur alljährlichen Generalversammlung zusammen. Themen waren u. A. der Finanzbericht für 2008 und der Haushaltsplan für das laufende Jahr. Und da zeigte es sich erneut: Unsere wichtigsten Einnahmequellen sind Spenden und Erbschaften. Ohne sie könnten wir unser umfangreiches Angebot nicht aufrecht erhalten. Ohne Spenden und Erbschaften könnten wir keine Freizeit-Angebote für mehrfachbehinderte Kinder - sie haben neben ihrer Erblindung noch eine Geistes- oder Körperbehinderung - und deren Eltern anbieten. Wir könnten keine Besuche zuhaus ermöglichen, bei denen mit sehbehinderten und blinden Menschen eingekauft, ein Arztbesuch erledigt, die Post vorgelesen oder einfach mal spazieren gegangen wird. Ohne Spenden und Erbschaften könnten wir keine begleiteten Ausflüge ins Museum oder an die Ostsee anbieten. Senioren-Nachmittage zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch fielen weg.

Darüber muss man sprechen und schreiben. Es geht nicht anders, wenn man unser hilfreiches und ermutigendes Angebot aufrecht erhalten und weiter entwickeln möchte. Wir blinden und sehbehinderten Menschen wollen keine Almosen, aber wir freuen uns über Geld, das uns ein selbstbestimmtes Leben in dieser Gesellschaft ermöglicht.

Online können Sie hier helfen. Spenden-Konto: Bank für Sozialwirtschaft, Konto-Nr.: 785 850 0000, BLZ: 370 205 00. Mehr Infos zum Thema finden Sie auf der BSVH-Homepage.

Mittwoch, 22. April 2009

Bloggen ohne Blog

In Blogs bloggen Blogger. So ist das für gewöhnlich. Und was ist mit Menschen, die nicht ständig online sind, die nicht wissen, wie sie eine Homepage erstellen? Ihre Erfahrungen tauchen in Google-Suchtreffern nicht auf. Das ist fatal in Zeiten, in denen das Web das Maß aller Dinge wird, in denen Suchmaschinen-Rankings Relevanz bedeuten und Journalisten immer mehr im Netz recherchieren. Bei Twitter lernte ich das Projekt der Blogpaten kennen. Ihr Anliegen: Erfahrungsberichte von Menschen ins Netz bringen, die bisher keine Chance dazu hatten. Auf der Blogger-Patenschaften-Homepage können sich Blogger eintragen, die offen für Gastbeiträge sind. Auch Blind_PR taucht in dieser Liste auf. Also, wenn Sie gern bei mir bloggen möchten, wenn Sie Menschen kennen, die etwas zu sagen haben, das auf meine Seiten passen könnte, dann machen Sie doch gern auf diese Möglichkeit aufmerksam. Einige denkbare Themen: Erfahrungen bei Augenarzt und -OP's, Alltag mit Augenerkrankungen, Kultur- und Tourismustipps für Blinde und Sehbehinderte, aber auch die Erfahrungen sehender Menschen im Umgang mit Blinden. Selbstredend sind auch Profi-Blogger herzlich willkommen. Ich freue mich auf spannende Erfahrungen, ungewöhnliche Sichtweisen und auf noch mehr Vielfalt im Weltweiten Netz. Und ich drücke den Blogpaten die Daumen, dass sich ihre Idee herumspricht und dazu beiträgt, dass Menschen gehört werden, die sonst meist im Abseits der Gesellschaft stehen.

Dienstag, 21. April 2009

Ein Herz für Blogs

Heut hat die Web2.0-Welt ein Herz für Blogs. Das ist in Zeiten von Twitter ja schon oldschool, vielleicht gerade deswegen so charmant. Ich empfehle die folgenden Blogs:

  • Biopolitik - wegen der ungewohnten Denkweisen und der zu unrecht vernachlässigten Themen rund um Behinderung.
  • 49 Suns - Wegen der formidablen Rock-Expertise und eines fantastischen Musikgeschmacks.
  • Indiskretion Ehrensache - wegen der spitzen Feder und der gnadenlosen Bestandsaufnahmen.
  • J.A. Blog - Wegen der klugen Gedanken und des Mutes zum geschriebenen Wort
  • Menschenbilder - Wegen der literarischen Form und des reflektierten Inhalts.
  • PR-Blogger - Wegen der vielen nützlichen Web2.0-Tipps und des modernen PR-Verständnisses.

Sonntag, 19. April 2009

Infos und Zuversicht

Altersabhängige Makula-Degeneration - kurz: AMD - ist die häufigste Ursache für eine Sehbehinderung bei Menschen über 50 Jahren in Deutschland. Rund zwei millionen Bundesbürger leiden an ihr. Durch den demographischen Wandel wird die absolute Zahl der Erkrankten in den nächsten Jahren noch massiv steigen. Rund 80% der Menschen, die im Hamburger Louis-Braille-Center Rat suchen, sind AMD-Patienten. Das Interesse an altersabhängiger Makula-Degeneration ist riesig. Angehörige und Betroffene suchen nach Infos über Krankheit und Behandlungsmöglichkeiten. Im Zentrum steht meist der verständliche, aber leider unerfüllbare Wunsch danach, das Sehen zurückzubekommen. In der Regel kann der Verlauf von AMD nur gebremst, aber nicht rückgängig gemacht werden.

In der vergangenen Woche lud die Bezirksgruppe Südost des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg (BSVH) erstmals zu einem AMD-Infoabend ein. Der Erfolg der Veranstaltung war gewaltig. Kurze Aufrufe im Bille-Wochenblatt und in der Bergedorfer Zeitung brachten rund 70 Interessierte zu dem Vortrag von Augenarzt und AMD-Fachmann Dr. Bunse. Die Besucher fragten nach der Verträglichkeit von Medikamenten und Behandlungen, nach aktuellen Forschungsergebnissen. Und sie lauschten aufmerksam unserer Sozialberaterin, als sie von elektronischen Lupen, Hörbüchereien, unseren Hilfestellungen beim Erledigen der Behördenpost und bei Arztbesuchen und beim Einkaufen sprach. "Ich mach einen Termin mit Ihrer Sehhilfenberaterin aus", sagten Besucher. Andere freuten sich darüber, dass die Mitgliedschaft in der Hörbücherei kostenlos ist. Und das schönste Kompliment machte uns eine Besucherin: "der Abend war so überzeugend. Ich glaub, ich werd Mitglied bei Ihnen."

Mehr Infos zu AMD gibt es beim BSVH.

Ein altväterlicher Rat

Warum geht eigentlich kaum ein Mensch unter fünfzig in ein klassisches Konzert? Die Bezaubernde Anna und ich waren in den letzten wochen beim NDR-Sinfonie-Orc hester und in der Staatsoper. Sei es nun Debussy, Ravel oder Mozart. Von einem guten Orchester gespielt, von stimmgewaltigen Chören und von durchdringend-sanften Vokalsolisten gesungen, das ist eine Ohrenweide, das bewegt, das ist komplex und gleichzeitig wunderschön. Und das auch für Klassiklaien. Live ein Orchester vor sich zu haben, ist etwas ganz anderes als das seichtleise Gedudel aus dem Radio. Natürlich macht der durchschnittliche Musikunterricht an unseren Schulen nicht unbedingt Lust auf mehr. Auch ich hab den Zugang zur klassischen Musik erst Stück für Stück in den letzten Jahren gefunden. Ich empfehle, es mir gleichzutun, sonst geht der hohen Kunst irgendwann noch die Fan-Gemeinde aus. Das hätte sie nicht verdient.

Dienstag, 14. April 2009

Angst in der Spaßgesellschaft

In den letzten Jahren höre ich immer häufiger von Freunden und Bekannten, dass sie einfach nicht mehr können, ihnen das Leben über den Kopf wächst. Viele beginnen eine Psychotherapie. Ängste und Depressionen sind keine Seltenheit. Der Alltag um das dreißigste Lebensjahr, die unsichere, moderne Gesellschaft verlangen viel, oft zuviel vom Individuum. Und wir leben in einer Spaßgesellschaft. Wer berichtet da schon gern von seinen Befürchtungen, von seiner Traurigkeit? Ausgerechnet die Gute-Laune-Moderatorin Sarah Kuttner hat sich des Themas Depression in ihrem ersten Roman angenommen.

In "Mängelexemplar" lässt sie ihre Ich-Erzählerin Karo von Panik-Attacken, Selbstekel und Verzweiflung in einem lustigen Menschen berichten. Bei Karo kommen die Entlassung aus der Event-Agentur und das Ende einer ohnedies unglücklichen Beziehung zusammen. Diese Anlässe lassen Ihr Angstfass überlaufen. Karo landet in einer Therapie und beim Psychiater. Aus der Krise geht sie gestärkt hervor, muss aber auch einsehen, dass sie weiter auf unsicherem Boden laufen wird. Eine der beeindruckendsten Szenen im Roman ist der Moment, in dem die Erzählerin feststellt, dass sie nicht nur vor anderen Menschen die witzig-spritzige Sprücheklopferin spielt, sondern auch sich selbst belügt und betrügt. Wann hat man eine Krise überwunden und wann gaukelt man es sich nur vor?

Kuttners Roman ist kein tiefgründig-vielschichtiger Literatur-Meilenstein. Aber er passt in die Zeit. Und er ist - wie könnte es bei der Autorin anders sein - humorvoll und witzig. "Mängelexemplar" liest sich zügig und lässt einen doch nachdenklich zurück. Das Hörbuch mit fünf CD's liest die Autorin selbst und charmant.

Mehr Literatur bei Lovely Books.

Donnerstag, 9. April 2009

Zu früh

"Zu früh", denk ich. Kaffee- und Muffin-Duft dringt in meine Nase. Er kündigt mir das Ziel meines frühabendlichen Ausflugs an. Nach 50 Metern vernehme ich das typisch dumpfe, aber konstant laute Murmeln: vor allem weibliches Lachen, dazu männliche Geschäftigkeit und kindliches Fordern. Die glatten Bodenplatten des Eingangs weisen mir den Weg. Die Kugel am Ende meines weißen Stockes rollt gleichmäßig von links nach rechts vor mir her, links, rechts, links, rechts, links, rechts.

"Entschuldigen Sie", rufe ich auf's Geratewohl in das Stimmenwirrwarr, "ist noch ein Zweiertisch frei?"

"Nicht wirklich", sagt eine gequetschte Stimme, die gewiss einer Mutter gehört.

"Doch doch, dahinten", dröhnt ein rauher Männerbass, der neben der Sachinformation schweren Bierdunst zu mir trägt. "Ich helf Dir!"

ob der Ü-50er jeden duzt oder nur Blinde, frage ich mich. Immerhin zerrt er mich nicht zum freien Platz, sondern bietet mir seinen Arm an. "Ich hab Erfahrung mit Euch", sagt er und lacht.

Ich ahne schon, dass ich diesen Herren nicht so einfach loswerde. Er legt meine Hand auf die Stuhllehne. Ich setze mich.

"Na, wie hab ich das gemacht?", fragt er.

"Alles perfekt, danke", antworte ich.

Er setzt sich auch. Ich wusste es. Wird er mir jetzt von seiner erblindeten Mutter berichten oder von seinem Berufsalltag als Altenpfleger oder Sonderschullehrer, Erzieher für blinde Kinder vielleicht?

"Ich war mal im Dialog im Dunkeln", platzt es aus ihm heraus. "Ich find Euch voll faszinierend. Ich bin Jürgen!" Eine fleischige, durch die Sommerhitze feuchtgeschwitzte Hand greift nach meiner.

Jetzt sind wir wohl Kumpel, denke ich und sage: "Ich bin Jan, hallo Jürgen."

"Und schon immer blind?" Wenigstens ist er unverkrampft.

"Nein, sechs war ich, ein Unfall."

"Schlimm, schlimm. Naja, das Leben muss weiter gehen. Jürgen weiß bescheid, denke ich.

"Ja, man findet seinen Weg", sage ich und möchte von Blindenschrift, sprechenden Uhren und Kochkursen für Blinde reden.

"Ihr entwickelt ja auch einen sechsten Sinn", unterbricht mich mein Gegenüber.

Ich habe ja nicht einmal einen fünften Sinn, denke ich und sage es auch.

Er schweigt - wer hätte gedacht, dass er das kann? - verdutzt. "Ja, nein, ich meine, Ihr nutzt andere Sinne."

"Ja, das stimmt", antworte ich in der Hoffnung, auf sicheres und vertrautes Smalltalk-Terrain gelangt zu sein. "Wenn ich an einer Kreuzung bin, dann höre ich an den parallel anfahrenden Autos, dass ich grün habe."

"Schon klar. Du kannst bestimmt auch hören, wie ich aussehe", fragt Jürgen die für einen Sehenden nicht allzu ungewöhnliche Frage.

"Nein, und es interessiert mich auch nicht. Wie jemand aussieht, spielt für mein Leben keine Rolle."

"Das ist toll!", findet Jürgen.

Kann nicht mal die Bedienung kommen, denke ich.

"Dieser ganze oberflächliche Quatsch ist Euch egal"! Wären doch alle Menschen so!" Jürgen schwärmt. "Du siehst das Wesentliche. Sei froh, dass Du den ganzen Scheiß nicht angucken musst. Du siehst, welche Menschen gut sind", frohlockt er. Und ich bin mir sicher, dass er sich für gut hält.

Ich wünsche mir den guten Menschen herbei, mit dem ich hier verabredet bin.

Ich setze an, Jürgen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Aber da will er gar nicht hin. Er will nicht hören, dass blinde Menschen so unterschiedlich wie sehende sind, dass die einen wissen wollen, wie jemand aussieht, die anderen nicht, dass die einen musikalisch sind, die anderen nicht, dass die einen voll integriert, die anderen lieber unter sich sind, dass die einen oberflächlich und die anderen weltoffen sind. Jürgen holt lieber zum finalen Schlag aus:

"Ich bin mir sicher, Ihr könnt hellsehen!"

Jetzt bin ich verdutzt. Nach einer Pause bricht sich meine Verwirrung in einem kraftvollen Lachen bahn. Ich lache und lache, immer lauter.

"Nein, wirklich", versucht Jürgen zu begründen. Aber ich kann ihm nicht mehr zuhören. Ich zittere, bebe vor Lachen. Hellsehen. Was kommt noch? Mit Tieren sprechen? Gold scheißen?

"Hier ist ja eine tolle Stimmung", sagt die weiche, klare Stimme, die sich heut in Rosenduft hüllt. Die zarte Hand des guten Menschen, mit dem ich verabredet bin, streicht über meine Wange. Und ich schwöre mir, nächstes Mal nicht zu früh hier zu sein.

(Dieser Blog-beitrag ist fiktiv. Er ist mein Beitrag zum Themen-Abend "Esoterik" in der "Mathilde Hamburg", 7. April 2009.)

Donnerstag, 2. April 2009

Blind auf dem Bike

Wofür ich meinen Job liebe? Für seine vielen überraschenden, ungewöhnlichen und interessanten Begegnungen mit Menschen, denen ich privat wohl nie begegnet wäre. Und andersherum treffe ich Leute, die mit mir zum ersten Mal Kontakt zu einer blinden Person haben. So war es auch gestern beim Biker-Stammtisch Norderstedt. Was verschlug mich und drei Kolleginnen und Kollegen dorthin? Motorradfahren assoziiert der geneigte Blind-PR-Leser wohl nicht mit einem Blinden- und Sehbehindertenverein? Eben drum. Kaum ein Mensch ohne Augenlicht saß schon einmal auf einer knatternden, vibrierenden Maschine. Viele Betroffene wissen nicht einmal, wie sich Harley und BMW anfühlen, welche Kluft die Fahrer tragen. Daher hatten wir die Idee, anlässlich unseres 100jährigen Vereinsjubiläums diese Wissenslücke zu schließen. Mit der Biker-Union haben wir einen Partner gefunden, der für unsere Idee offen war. Und nun steigen am 6. Juni blinde und sehbehinderte Hamburger auf die Motorräder. Sie drehen mit den Bikern einige Runden und gewinnen neue Eindrücke. Und neue Eindrücke sammelte auch ich gestern in Wallis Eck Casino: kernige norddeutsche Männer - weniger Frauen - in Lederkluft, immer einen trockenen spruch auf den Lippen und, das ist das wichtigste, offen für neues. Ich freu mich auf den 6. Juni und meine erste Tour auf dem Motorrad.

Auch für Sie gibt es am 6. Juni beim fest der Sinne viel zu erleben: Testen Sie Ihre sinne im Dunkeln, entspannen Sie in unserem snoezelen-Raum, spielen Sie blind Ballspiele, oder fahren Sie erstmals auf einem Tandem. Für Livemusik und Verpflegung ist natürlich auch gesorgt. Also, den Termin schon einmal vormerken!

Mehr Infos beim BSVH.