Montag, 31. März 2008

Blind im Bild

Eine Foto-Reihe, die blinde Menschen zeigt? Mich hat in der vergangenen Woche eine Design-Studentin besucht, die genau eine solche Reihe als Abschluss-Arbeit erstellt. Sie fotografiert blinde Menschen in deren alltäglicher Umgebung. Was ist daran spannend?

Die Spannung liegt für mich darin, dass das Medium Bild im Alltag der porträtierten Person keine Rolle spielt. Für blinde und viele stark sehbehinderte Menschen sind Tonaufnahmen oder fühlbare Erinnerungen deutlich relevanter als Fotos. Diese Spannung birgt aber auch eine Gefahr: der Fotografierte ist dem Medium ausgeliefert. Er hat keinen oder nur wenig Bezug zur Wirkungsmacht von Bildern. Er kann seine Präsenz auf dem Bild kaum steuern. Er kann nicht einmal das Ergebnis des Shootings eigenständig bewerten. Blinde Menschen mit den Augen zu beobachten, hat etwas voyeuristisches, ganz gleich ob im Film, auf der Bühne oder auf einem Foto. Das ist keineswegs als Vorwurf gemeint, aber ein Fakt, dem sich ein Künstler (sei er blind oder sehend) bewusst sein sollte, will er das Thema verarbeiten. Und letztlich ist es auf der Straße, im Bus oder im Supermarkt nicht anders: Auch hier sind wir ständig Blicken ausgesetzt, die wir nicht erwidern. Und gerade weil das Beobachten für sehende Menschen und Beobachtet werden für blinde Menschen zum Alltag gehört, ist es eine künstlerische Auseinandersetzung wert. Ich wünsche mir, dass eine solche Auseinandersetzung die Unterschiedlichkeit von blinden Menschen thematisiert^und sie nicht nur auf ihre Behinderung reduziert. Es gibt zwar gemeinsame Alltagserfahrungen, die alle Betroffenen teilen, der Umgang mit diesen kann auch gemeinsam (z.B. im Blinden- und Sehbehindertenverein) erfolgen. Aber im Kern sind blinde Menschen Menschen. Und die sind - wie Sehende auch - verdammt unterschiedlich und sehr häufig ein Kennenlernen wwert.

Infos zum Foto-Projekt: http://www.dvbs-online.de/php/dvbs-news288.htm

Samstag, 29. März 2008

Brief an Lotta

Liebe Lotta,

falls Du Dich in zehn bis zwanzig Jahren - wenn Du diesen Eintrag vielleicht liest - nicht mehr daran erinnern können solltest: ich habe Dich gestern zum erstenmal gehalten. Du warst sieben Wochen alt, 50 cm klein, hattest winzig-kleine Hände und einen ganz schön kleinen Kopf, mit vielen Haaren darauf. Du hattest auch Haare auf den Ohren (aber darüber wollen wir lieber schweigen, die wirst Du schon noch los). Du hast leise gequietscht und Dich ein wenig gestreckt. Dabei haben die Glöckchen in Deinen Schuhen - auf die ich ein Bisschen neidisch bin - geklappert. Geschrien hast Du nicht. Ich denke, dass das ein gutes Zeichen ist. Obwohl vielleicht warst Du einfach von Deinen lieben Eltern so satt und glücklich gestopft, dass es keinen Grund mehr zum Schreien gab und Dir völlig schnurz war, in wessen Schoß Du gerade liegst? Nein nein, ich hatte einen guten ersten Eindruck von Dir! Petrus, Tinka und Du werdet schon Spaß haben. Und gelegentlich kommt Onkel Heiko mal vorbei und sagt erfreut: "Du bist aber groß geworden!"

Mittwoch, 26. März 2008

Schall- und Stufenschlucker

Gestern und heut lag Schnee. Ich hätte darauf verzichten können. Gut, auch ich habe als Kind Schneemänner gebaut und Schneeballschlachten geschlagen. Deshalb kann ich mich einer gewissen Nostalgie bei diesem Wetter nicht erwehren. Und einen Spaziergang durch einen verschneiten Wald in charmanter Begleitung finde ich auch romantisch. Aber alltagskompatibel ist Schnee für mich nicht.

Schnee bedeutet Ruhe, lästige Ruhe. Plötzlich fehlt mir akustische Kontrolle, die mir sonst meinen Arbeitsweg erleichtert. Der Schnee schluckt den Schall meiner Schuhe und die Geräusche der Autos. Und er begräbt Boden-Unebenheiten unter sich. Ich fühle mit meinem Blindenstock nicht mehr, wo der Bordstein endet und der Sandstreifen anfängt, wo die abgeflachte Bordsteinkante ist. Liegt der Schnee sehr hoch, ist ein selbstständiges Bewegen für blinde Menschen mit Stock kaum möglich. Gut, dass man sich in Hamburg darauf verlassen kann, dass der Schnee nie länger als einen halben Tag liegen bleibt. Und beinah könnte man zum leidenschaftlichen Befürworter der Klima-Katastrophe werden, denn schließlich kontte ich in diesem Winter jeden Tag allein zur Arbeit gehen. Also, Heizung höher drehen und Fenster aufreißen! Aber nein, was wird dann aus Winterromantik und -nostalgie?

Dienstag, 25. März 2008

Blindes Bolzen

Die Kollegen der journalistischen Zunft interessieren sich dieser Tage für Blinden-Fußball. In Deutschland ist die Sportart recht neu. Sie kam mit der WM 2006 in unser Land. Die blinden Bolzer versuchen den Klingelball im Tor der sehenden Torwarte unterzubringen. Ihnen helfen Zurufe der sehenden Trainer.

In der vergangenen Woche wurde in Berlin die Blinden-Fußball-Bundesliga vorgestellt. Schirmherr ist HSV-Legende Uwe Seeler. Ab dem 29. März werden acht Teams aus Deutschland den ersten Meister ausspielen. Initiatoren der Liga sind die Herberger-Stiftung des Deutschen Fußballbundes und der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband.

Auch aus Hamburg kommt ein Bundesliga-Team. Der Kultclub FC St. Pauli hat eine eigene Blinden-Fußball-Mannschaft, an die ich schon häufiger Presse-Vertreter verweisen konnte. Blinden-Fußball ist medial spannend: Es gibt zum einen ein vertrautes Equivalent im Sport der Sehenden, und es ist Action auf dem Platz. Bleibt zu hoffen, dass die Gründung der Liga dem Sport einen Schub verleiht. Mein Freund Trevor immerhin will jetzt auch damit anfangen...

Links zum Thema

Offizielle Homepage zum Blindenfussball: http://www.blindenfussball.net

Mehr Infos auf der BSVh-Homepage: http://www.bsvh.org/news/44/37/

Kobinet-Artikel zur Bundesliga: http://www.kobinet-nachrichten.org/17623/1

Samstag, 22. März 2008

Energetischer Trübsinn

Am Dienstag schrieb die Mopo über das Editors-Konzert: "ein recht merkwürdiges Schauspiel bei jedem nachfolgenden Stück: Fan goutiert das Intro mit einem Jubelschrei, hopst etwa 20 Sekunden euphorisch drauflos und verfällt sodann in andächtige Zuschau-Starre. Bei allem guten Willen und trotz des bebenden Baritons von Sänger Tom Smith - der Funke will hier einfach nicht überspringen." Hier ist dringend eine Kritik der Konzert-Kritik geboten.

Ich frage mich, ob die Kollegen der Mopo auf dem selben Konzert wie Julia, die von Musik und Konzerten weitestgehend viel versteht, und ich waren? Das Editors-Konzert, auf dem wir am Sonntag waren, war geprägt von einer unglaublichen Euphorie des Publikums, von druckvoller Musik, die dennoch düster war. Die Fans jubelten schon bei den Vorbands - für Hamburger Verhältnisse - enthusiastisch. Und bei den Editors gab es kein Halten mehr - und nicht nur in den ersten zwanzig Sekunden. Wahrscheinlich mussten die Mopo-Journalisten nach 20 Sekunden zu ihrem nächsten Konzert-Termin. Denn bei fast jedem Solo gingen die Hände in die Höhe, jeder Scherz des Lead-Sängers wurde mit überwältigendem Applaus gewürdigt.

Die Editors sprechen ein Generationsgefühl an. Wie sagte Julia so schön und verwundert? "Das sind ja alles Erwachsene hier!" Erwachsene, die dafür sorgten, dass das Konzert - obwohl die Band erst im November in Hamburg gewesen war - ausverkauft war. Erwachsene, die mitsangen und klatschten, dass sich die Balken bogen. Was macht die Band aus? Gut, es stehen ausschließlich studierte Musiker auf der Bühne. Man merkt es, weil jeder feinste Break sitzt, die musikalische Spannung niemals verloren geht. Es ist aber noch mehr. Die Mischung aus Energie und Trübsinn ist bemerkenswert. Waviger kann Musik von heute nicht sein. Und vielleicht ist es der Soundtrack einer Generation, die weiß, dass diese Welt voll von Etschütterung, Unsicherheit und Tod ist, die aber trotzdem das Leben genießen und voran kommen möchte.

Links zum Thema

Mopo-Artikel zum Editors-Konzert: http://archiv.mopo.de/archiv/2008/20080318/hamburg/kultur/eine_mega_musiknacht.html

Offizielle Editors-Homepage: http://www.editorsofficial.com/

Dienstag, 18. März 2008

Schönheit im Ohr

Nach zwei Tagen im Konferenzraum - nur unterbrochen durch einen Besuch in der Legendären Markthalle in Kreuzberg, in der schon Herr Lehmann Schweinebraten aß und die schöne Köchin kennenlernte - ist es am Samstag Nachmittag Zeit für Berliner Freizeit. Ich besuche Tina, ziehe mir mit ihr den Paten rein und gehe mit ihr auf eine Geburtstagsfeier auf ein Party-Schiff.

Tina begleitet mich seit sieben Jahren. Damals machten wir Praktikum in einer Unternehmensberatung. Sie ist inzwischen Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Joachim Lottmann nennt sie in seinem Blog gern Tina Beautiful. Und er wird gewiss streng wahrheitsgemäß schreiben. Was für blinde Menschen beautiful ist, scheint eine reizvolle Frage für sehende Menschen zu sein. Auch auf der Party am Samstag wurde mir die Frage aus den Reihen der versammelten Hauptstadtpresse gestellt. Und auch ich finde sie nicht uninteressant. Wann finde ich einen Menschen schön?

Lerne ich eine Frau kennen, kann ich nicht so früh mit dem Abchecken beginnen wie mein sehendes Gegenüber. Mein erster Eindruck entsteht häufig erst nach dem Beginn einer verbalen Kommunikation. Dabei sind für mich vielleicht die ersten Worte so wichtig wie der erste visuelle Eindruck für einen sehenden Menschen. Ist die Stimme klar, warm, sinnlich? Ist die Aussprache flüssig, natürlich, kantig? Ist der Tonfall unverkrampft, ehrlich und offen? Und natürlich ist es nicht unerheblich, ob mein Gegenüber in meiner Nase angenehm duftet. Passt mir ein Parfum nicht, wird es schon schwerer, mich von der Schönheit der Anderen zu überzeugen. Was aber sehende Menschen schön nennen - Gesichtszüge, Körperbau, Frisur -, spielt für mich erst sehr spät im Prozess des Kennenlernens eine Rolle. Denn auch Blinde betasten ihre Mitmenschen nicht umgehend nach der ersten Begrüßung. Und sicher habe ich dann auch Vorstellungen von schöner Kleidung, die Fingern etwas zum Entdecken bietet, oder von schöner Haut. Ist es aber soweit, dass mir eine Frau von selbst erzählt, welche Haar- oder Augenfarbe sie hat, hab ich schon längst eine Meinung über ihre Schönheit - geformt aus Klang, Duft und Berührung. Und das sind immer noch hinreichend viele Sinne für eine fundierte Empfindung.

Blog von Joachim Lottmann: http://taz.de/blogs/lottmann/

Nicht blind, nicht sehend

Sehbehinderte Menschen leben nicht nur in Hamburg: 20 Blinden- und Sehbehindertenvereine haben sich daher zum Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) zusammengeschlossen. Der DBSV sitzt in Berlin. Und da saß ich Freitag und Samstag auch. In der DBSV-Geschäftsstelle trafen sich die Öffentlichkeitsarbeiter aus der ganzen Republik und planten bundesweite Kampagnen und tauschten sich über die Situation in den jeweiligen Landesvereinen aus. Ich nahm zum erstenmal teil: viele neue Menschen, viele neue Informationen und viele neue Meinungen prasselten auf mich ein. Das Gehirn muss auf Zack bleiben, will man PR in einem Verband machen - und das ist fantastisch.

Ein Thema unserer Tagung war der Sehbehindertentag. Er wird alljährlich am 6. Juni begangen. An diesem Datum machen die Selbsthilfeorganisationen auf die besondere Situation von Menschen aufmerksam, die weder blind nnoch sehend sind. Sehbehinderte Menschen werden von ihrer Umwelt häufig nicht als gehandicapt wahrgenommen. Unter Blindheit können sehende Mitbürger sich vermeintlich etwas vorstellen. Sie schließen einfach die Augen und wissen dann, wie es ist nichts zu sehen. Sich aber vorzustellen, wie das scharfe Sehen nachlässt oder wie das Gesichtsfeld immer kleiner wird, das fällt schon nicht mehr so leicht. Und sehbehinderten Menschen sieht man ihre Behinderung nicht unmittelbar an. Wie häufig werden sehbehinderte Freunde von mir angepöbelt, wenn sie am U-Bahnhof nach einer Fahrplan-Auskunft Fragen? "Steht doch dran! Guck doch hin!" Und dann gibt es noch den gegenteiligen Effekt: geistig völlig fitte Senioren werden von ihren Mitmenschen behandelt, als seien sie senil. Grund: die Senioren sind neu mit einer Augenkrankheit konfrontiert. Ihr Sehvermögen lässt rapide nach. Sie werden unsicher, weil sie ihren Nachbarn auf der Straße nicht mehr erkennen, Stufen übersehen, im umgebauten Supermarkt die Taschentücher nicht finden oder in der U-Bahn keinen freien Platz. Die Unsicherheit wird häufig als Senilität wahrgenommen. Zu der Krankheit gesellt sich ein abwertender Umgang durch die Mitmenschen. Der Frust wird stärker. Gut, dass sich die Betroffenen in Gesprächskreisen (z.B. beim Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg) austauschen und aufbauen können, und gut, dass der DBSV auch in diesem Jahr wieder auf die Lage der sehbehinderten Menschen aufmerksam machen wird.

Eine alte, aber gute Seite des DBSV zum Sehbehindertentag: http://www.dbsv.org/sehbehindertentag/

Dienstag, 11. März 2008

Ein leider nicht alltäglicher Filmabend

Ergänzt am 14.03.08)

Heute wird in Berlin der Deutsche Hörfilmpreis vergeben. Hörfilme enthalten eine Beschreibung für blinde und sehbehinderte Zuschauer, die sog. Audiodeskription. In den Dialog-Pausen erläutert ein Erzähler die nonverbale Handlung, beschreibt Aussehen, Mimik und Gestik der Akteure. Auch wenn Sie gelegentlich den sehenden Zuschauer verärgern, der nicht herausbekommt, wie er den Zweikanalton an seiner Fernbedienung ausstellt, sind Hörfilme fantastisch. Sie sind gelebte Barrierefreiheit und Integration. Und nicht zuletzt sind sie eine eigenständige Kunstform.

Seit Jahren unterstützt Schauspieler Mario Adorf das Medium Hörfilm. Zufällig spielte er die Hauptrolle in dem letzten Hörfilm, den ich gesehen habe. In "Epsteins Nacht" spielt er einen KZ-Überlebenden, der unter eigenen Schuldgefühlen leidet. In seiner innigen Freundschaft zu den Brüdern Rose, mit denen er die Lagervergangenheit teilt, liegt eine verstörende Menschlichkeit und die ganze Tragik der NS-Opfer. Dass die Täter die Opfer wieder zu Tätern machten, thematisiert dieser Film bewegend. "Epsteins Nacht" lebt von seinen Schauspielern. Bei Filmen im Originalton können auch blinde Menschen beurteilen, ob die Schauspieler überzeugen. Sonst sind wir auf professionelle Synchronisation angewiesen. Apropos Stimme: den Hörfilm-Text spricht bei "Epsteins Nacht" Iris Berben. Sie trifft den Ton des Filmes, ruhig und ernst beschreibt sie die hilflosen Gesten Epsteins, das Berlin der Gegenwart und das Grauen der KZ-Szenen. Ich bin froh, die DVD ausgeliehen zu haben. Zumal auf ihr auch die Menüs vorgelesen werden, ebenso das schriftliche Interview-Material im Bonus-Bereich. Und die Kapitel-Liste liegt sogar in Blindenschrift bei. So war auch für mich ein Abend lang das Filmerlebnis etwas ganz alltägliches. Möge der Hörfilmpreis für noch mehr Produktionen wie "Epsteins Nacht" sorgen.

Links zum Thema

Die Berliner Zeitung über die Preisverleihung: http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/berlinberlin/732544.html

Deutscher Hörfilmpreis: http://www.deutscher-hoerfilmpreis.de/

International Movie Data Base über "Epsteins Nacht": http://german.imdb.com/title/tt0285547/

Tina Manske lobt "Epsteins Nacht": http://www.filmhai.de/kino/film/0001/epsteins_nacht.php

Ulrich Behrens verreißt "Epsteins Nacht": http://www.filmzentrale.com/rezis/epsteinsnachtub.htm

Montag, 10. März 2008

Ethnologie in London

Verfasst am Mi.05.03.08

Am Montag gab es den touristisch-obligatorischen Themsen-Spaziergang, vorbei an Big Ben, Globe Theater (da muss ich im Sommer mal rein) und Tower-Bridge. Danach haben Rheinhold, Lisa, ihre mexikanische Freundin Carmen und ich chinesisch gegessen. Wir waren im Chuen Cheng Ku, das mir PR-Coach Christian empfohlen hatte. Wir haben uns Dim Sum gegönnt, d.h. kaum englisch-sprechende Chinesinnen fahren mit einem Wägelchen voller Häppchen an deinem Tisch vorbei, und du sagst yes oder No. Und weil alles so schön Häppchenhaft ist, traut man sich auch die Haifischflossen und Schnecken zu. Nur vor dem Rindermagen haben wir kapituliert (den gibt's dann auch im Sommer), und Hühnerfüße wurden uns gar nicht erst angeboten. Es war lecker und spannend. Und dass bei Chuen auch viele Asiaten essen - und nicht nur die Touris - spricht ebenfalls für dies Restaurant in London-Chinatown.

Und das Restaurant kam uns vor wie eine Oase. Grund: nach unserem Spaziergang sind Rheinhold und ich in Monumentstation in die U-Bahn eingestiegen, um mit der Centralline zu fahren. Schließlich wollten wir Lisa treffen, um zum Chinesen zu gehen. Dummerweise war es 17.00 Uhr, Rush-Hour. Das ist ein Erlebnis, das wir Hamburger uns nur schwer vorstellen können, selbst wenn wir jahrelange 5er-bus-zur-Uni-Erfahrung haben. Menschenmassen, die sich durch endlos weite Tunnellandschaften schieben, keine Roll- oder sonstige Treppenauf- und Abstiege scheuen, im Kindergärtnerton gebrüllte Lautsprecherdurchsagen, die dem U-Bahn-Nutzer-Hirn einhämmern, erst aussteigen zu lassen und erst danach einzusteigen, im Kindergärtnerton gebrüllte Lautsprecherdurchsagen, die dem U-Bahn-Nutzer-Hirn einhämmern, hinter der Rolltreppe nicht stehen zu bleiben, da einem sonst die ganze Herde in die Hacken rennt, heiße körperliche Nähe im Zug, die sich manch andere Menschen in ihrem Bett wünschen. Aus Touristisch-ethnologischer Perspektive ist U-Bahn-Fahren in London ein Erlebnis. Wie es ist, das jeden Tag im Alltag zu haben, weiß ich nicht. Die Eingeborenen wirkten aber recht stoisch. Ich habe einmal gehört, es gebe in London überdurchschnittlich viele Blindenführhunde. Ich könnte mir vorstellen, dass das stimmt. Möglicherweise ist das der entspanntere Weg, Londons Gewusel als blinder Brite zu beherrschen. Blindenstöcke gehen bei der Enge gewiss häufiger mal zubruch.

Und Dienstag war - nach einem letzten Camden-Bummel, dem Abschicken der Rheinhold'schen Postkarten und extremst fettigen Fish & Chips - auch schon wieder der Rückflug angesagt. Aber wir sind jetzt schon ganz heiß auf unseren nächsten Besuch in UK: Rheinhold und ich planen, im Juli wiederzukommen - mit Paddeln in den Docklands, einem Globetheatre-Besuch und einem englischen Picknick. See You!

Links zum Thema

Restaurant Chuen Cheng Ku http://www.chuenchengku.co.uk/

London aus der Rollstuhl-Perspektive: http://www.behindertenparkplatz.de

Donnerstag, 6. März 2008

Globalisierung und Behinderung

(Verfasst am Mo.03.03.08)

London ist wie ein Rausch. Alles pulsiert und groovt. Wohin sollen wir gehen? Ins Portugiesenviertel, zu den Marokkanern, nach Chinatown? Das ist Welt Kompakt. Wir entscheiden uns am Sonntag für die Brick Lane. Hier reiht sich ein Curry-Imbiss an den nächsten. Über die Gehsteige schallt indische Musik und die Straßenschilder sind in Hindi. Ich stelle mir die Schlagzeilen der Hamburger Boulevard-Presse vor, wenn in Wilhelmsburg plötzlich türkische Straßenschilder stünden - das Ende des Abendlandes wär dann wohl gekommen. Hier in London scheint das Nebeneinander der Kulturen zu klappen. In Markthallen, in verramschten Shops oder direkt auf der Straße, jeder möchte hier etwas verkaufen. Die Angebotspalette reicht bis an den Rand der Illegalität: ob es wirklich der Besitzer ist, der sein altes Fahrrad für fünf Pfund verscherbelt? Ein Funk-DJ hat sein Soundsystem am Straßenrand aufgedreht und bietet selbstgebrannte Compilation-CDs an. Ob es in England etwas wie die Gema gibt? Und sogar die Hütchen-Spieler-Horden vom Balkan gibt es hier noch. Aber auch hier in der Brick Lane sind Überlebenskapitalismus und die hippsten Trends nah beisammen. Denn auch hier gibt es Shirts im Siebdruckstyle, Clubsounds, die ich auf deutschen Straßen und aus deutschen Radios niemals höre. Und wahrscheinlich ist es genau diese Einheit aus den rauhen Gesetzen des freien Marktes und der Ballung internationaler Einflüsse, die das Pulsieren dieser Stadt ausmacht.

Nach unserem Nachmittagsbummel landen wir bei Ziggy. Sprich: in einem Pub. Uns begleitet Camilla, Lisas finnische Freundin, die mit einem Cellisten von Apocalyptica zusammen ist. Während Lisa Konferenzen an einem Gynäkologen-College organisiert, verkauft Camilla Film- und Musik-Pakete an Flug-Gesellschaften - erstaunliche Jobs, die unsere Generation hat. Ziggy hat alles, was man an einem Sonntag braucht: gemütliche Antik-Sofas, hippen Dancefloorjazz, saftige Burger mit Pommes, Cider und acht Sorten Bier vom Fass. In netter Gesellschaft können da schonmal sechs Stunden vergehen.

Und auch an diesem Abend stell ich einmal wieder fest, wie unkompliziert die Menschen hier mit meiner Behinderung umgehen. Schon häufig hab ich in England oder Irland erlebt, dass mich die Leute einfach ansprechen, und sie sagen nicht: "toll wie Sie allein gehen" oder "wodurch sind Sie blind geworden" oder "das muss aber schlimm sein". Nein, die Leute hier sagen "nice Weather, isn't it?", "are you on holiday?" oder "Hamburg, that's a wonderful city!" Und auch Camilla reicht mir nach dem Pub-Abend - wie selbstverständlich - ihren Arm. Sie wolle das einfach mal probieren. Ist es meine Urlaubsausstrahlung, die die Menschen hier so locker mit mir umgehen lässt? Oder ist es vielleicht doch so, dass wir Deutschen ein tendenziell verkrampfteres Verhältnis zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen haben? Vielleicht liegt es an der Grundhaltung: in den angelsächsischen Ländern macht jeder aus seiner Situation das Beste, sei er Ausländer, behindert oder blond. Bei uns sehen wir als erstes die Hilfsbedürftigkeit von Menschen, die anders sind. Hoffentlich trägt die Globalisierung den offenen Umgang mit Behinderten auch eines Tages nach Deutschland.

"London Leben" über die Brick Lane: http://www.londonleben.co.uk/london_leben/2004/07/brick_lane_and_.html

Mittwoch, 5. März 2008

Cooles Camden

(verfasst am So.02.03.08)

Es ist umwerfend, wieder in London zu sein! Lisa hat Rheinhold und mich am Freitag gemütlich mit einer Flasche Wein empfangen. Die war auch dringend nötig, nachdem wir in unserem Flieger bei starkem Sturm doch ziemlich durchgeschüttelt wurden. Wir saßen in ihrem Wohnzimmer, das sie sich normalerweise mit sechs anderen WG'lern teilt. Die sind aber alle nach Porto - für zwei Tage im Billigflieger, diese Welt ist bizarr. Es ist auch bizarr, wie die Menschen hier in dieser reichen Metropole leben: sieben berufstätige Erwachsene um die 30 leben in kleinen Zimmern, haben nur ein winziges Bad, eine Kochecke und Sitzplätze für genau sieben Personen, keinen Esstisch - wo sollte der auch stehen? Der Putz kommt von den Wänden, der Gas-Herd und der Warmwasser-Boiler machen wenig vertrauenswürdige Geräusche. Lisa zahlt 530 Pfund (rund 680 Euro, für ihr Zimmer, warm und in Camden. Und in Camden zu leben, entschädigt für so einiges. Es ist wohl einer der coolsten Orte der westlichen Welt. Schön, dass Lisa inzwischen hier lebt, und schön ist es, sie wiederzusehen und mit ihr bis halb Drei zu plaudern!

Samstag ging es für Londoner Verhältnisse unglaublich entspannt los: runter an den Kanal. Und entlang an unzähligen Hausbooten, am Zoo und an virtuosen Akkordeon-Spielern vorbei, gingen wir nach Little Venice. Little Venice ist einer der wohlhabenden Stadtteile in Zentral-London. Das ist nicht das Erste, dass mir vor Samstag zu dieser Weltstadt eingefallen wäre: Auf einer Veranda sitzen, es plätschert das Wasser, und in der Sonne trinken wir exzellenten Capucchino. Der rund 90-minütige Walk hat unseren Schreibtisch-Rücken und -Beinen so gefallen, dass wir ihn auch noch zurück gehen. Ab in den Trubel!

Den Trubel kannte ich schon von meinen letzten Besuchen hier. Und doch finde ich das Pulsieren der Camden-Märkte jedesmal wieder fantastisch, berauschend. Ich gehe an Rheinholds Arm nur zehn Meter und es duftet auf der kurzen Strecke nach Original-Thai-Curry, nach Fritiertem Gemüse und nach göttlichen Doughnuts, gewendet in Zimt und Zucker. In einem Moment Dröhnt von dem einen Stand Reggae, vom nächsten Salsa, von einem weiteren klingt es orientalisch und ein anderer Verkäufer hört lieber Irish Folk in voller Lautstärke. Die Menschen vor und hinter den Tresen sprechen Chinesisch, spanisch, mit afrikanischem Akzent und immer häufiger Polnisch oder tschechisch.

Abends geht es in Camden vielleicht nicht ganz so international zu wie am Tag. Die Club- und Pub-Kultur ist wohl doch eher etwas für einheimische Briten und deutsche Touristen. Aber es geht nicht weniger abwechslungsreich und dynamisch zu. Auf gut Glück investieren wir sechs Pfund in ein Konzert, und werden nicht enttäuscht. Reggae und Ska bringen uns im Dublin Castle in Stimmung. Lisa, Rheinhold und ich ziehen von Pub zu Pub, diskutieren über alte Freunde, über den Alltag in einer so wilden Stadt wie London und streiten uns über Amerika. Tausende andere Menschen tuen ähnliches hier, sie hören dabei schrabbeligen Rock aus schrabbeligen Lautsprechern und füllen ihre Gemüter mit Cider und Ale. Ich liebe die Atmosphäre hier. Von mir aus können wir heut Abend noch einmal im Pub landen...

"London Leben" über Little Venice: http://www.londonleben.co.uk/london_leben/2005/01/little_venice.html

Homepage der CAMDEN MARKETS LONDON: http://www.camdenlock.net/

Die Insel ruft

Verfasst am Do.28.02.08)

Puh, das war doch eine Menge Stoff! Jetzt ist es an mir, mich in den nächsten Monaten und Jahren für ein PR-Verständnis zu entscheiden. Ist PR Teil des Marketings? Oder ist PR eine unternehmerische Denkhaltung, sozusagen das zweite Bein eines Unternehmens? Und welche Rolle spielen Corporate Behaviour, Communications und Design für eine Selbsthilfe-Organisation blinder und sehbehinderter Menschen? Erstmal viel Denk- und Strukturierungsmodelle, viel Wissen, das noch verinnerlicht und gewichtet werden will. Das kriegt mein verschnupfter Kopf aber heut im ICE gewiss nicht mehr hin.

Und morgen geht's dann nach London - hoffentlich spielt die Gesundheit mit. Ich freu mich auf vier Tage Metropolen-Flair, auf das bunte Leben, auf vier Tage Spaß mit Rheinhold und auf Lisa, die ich über eineinhalb Jahre nicht gesehen hab. Und ich freu mich auf ein Chinesisches Restaurant, das mir Christian, unser Schweizer PR-Coach, empfohlen hat. Er sagt, dass man dort alles einmal probieren sollte, mit Ausnahme der Hühner-Füße. London ich komme!